suec-kundenmagazin-pol-011
F ür die „typische Handbewegung“ braucht Andrea Michniowski auf jeden Fall beide Hände. Mit einem routi- nierten Griff in die Edelstahl-Schüssel, randvoll mit gold- gelbem Kloßteig, holt sie die richtige Menge Teig. Da ist nur die rechte Hand beteiligt. Aber sobald es ans Formen der Kartoffel- klöße geht, kommt die linke mit ins Spiel. Ein Rollen und Kneten – aus der unförmigen weichen Masse wird im Handumdrehen und in Windeseile ein Faust großer und nahezu perfekt runder Kloß. „300 Stück machen wir am Sonntag“, sagt die Inhaberin der Gast- stätte „Zur Schnepfe“ im Lautertaler Ortsteil Tiefenlauter. Dabei unterbricht sie das Formen und Einlegen der Klöße nicht. Wäh- rend sich die Schüssel mit dem Teig zügig leert, nimmt die Zahl der fertigen Kartoffelteig-Kugeln im Topf mit dem heißen Wasser gleich daneben Stück um Stück zu. Als „grenzenloser Genuss“ ist die regionale Spezialität schon beschrieben worden. Auch Gedichte sind dem Kar- toffelkloß bereits gewidmet worden. Dabei gibt es kleine und feine Unterschiede in der Rezeptur von Dorf zu Dorf, zwischen den Landstrichen und Regionen. Ob fränkische Klöße oder Thüringer Hütes, wie sie dort auch genannt werden, Neustadter oder Coburger Rutscher – es sind kei- ne Knödel. Mal sind sie weicher, mitunter aber auch be- ständig in ihrer runden Form. Was in der heimischen Küche reine Handarbeit ist, kann an einem Sonntagvormittag vor der mittäglichen Kloß-Bra- ten-Soßen-Stoßzeit in der Gastwirtschaft nur mit Hilfe von Maschinen gelingen. „Ohne Schäl- und Reibemaschine wäre die Menge gar nicht in der Zeit zu schaffen“, sagt Andrea Michniowski lapidar. Die rohen geriebenen Kartoffeln müs- sen getrocknet werden. Mit Muskelkraft betriebene Kloß- pressen, welche die geriebene Kartoffelmasse trockneten, dienen heute mehr der Dekoration denn der Produktion. Im Museum im thüringischen Großbreitenbach – nahe Neu- stadt am Rennsteig und knapp 50 Kilometer von Lauter- tal entfernt - sind drei Dutzend dieser hölzernen oder aus Metall gefertigten Küchenmaschinen aus verschiedenen Zeiten zu sehen. Auch eines der ältesten Kloßrezepte aus der Zeit um 1810 zählt zu den Ausstellungsstücken. In der „Schnepfe“ übernimmt eine Schleuder das Trocknen. Im Leinensack rotiert die Masse bis die Feuchtigkeit abgeflos- sen ist. In den eigenen vier Wänden ist Muskelkraft beim Verrüh- ren des Gereibes und des Kartoffelbreis nötig. Traditiona- listen verwenden einen Quirl, der ebenso traditionell aus einem Weihnachtsbaum geschnitzt worden ist. Durch die dünnen Aststummel werde der Teig luftiger und lockerer, heißt es. Für professionelle Anwendung ist eine Knet- und Rührmaschine, etwa aus dem Maschinenpark einer Bäcke- rei, geeignet. Das Formen und Einlegen der Klöße ins heiße, nicht ko- chende Wasser, gehen anschließend überall gleich von der Hand – im Haushalt wie in der Gaststättenküche. Nur lässt der Profi etwa alle viereinhalb Sekunden einen geformten Kloß ins heiße Wasser gleiten, also 13 Stück in der Minute. „Wenn nicht gerade Fotos gemacht werden“, sagt Andrea Michniowski verschmitzt. „Im Wasser ziehen müssen die Klöße etwa zehn Minuten. Aber nach 90 Minuten oder gar länger im Wasser werden Sie blasser und fester, an Ge- schmack verlieren Sie deswegen aber nicht.“ Rehbraten und Klöße – ein überirdischer Genuss. „Der Kloß – dies sollte jeder wissen – / wird nicht geschnitten, nur gerissen, / mit Soße überreich begossen/ und dann in Ruhe stillgenossen“, heißt es in einem etwa 100 Jahre alten Gedichts des Oberlehrers Gustav Joch, seinerzeit Vorsitzender des Thüringerwald-Vereins. Handarbeit: Aus dem Teig werden die Klöße geformt und ziehen anschließend in heißem Wasser. REZEPTE ZUM NACHKOCHEN KLÖSSE Zutaten: 2 kg Kartoffeln, 2 Brötchen, Butter, Salz 1,5 kg der Kartoffeln schälen, reiben und in einem Leinentuch auspressen. Die restlichen, ebenfalls ge- schälten Kartoffeln kochen und pürieren. Nun das noch heiße Kartoffelpüree mit der rohen Kartoffelmasse intensiv mischen und salzen. Die bei- den Kartoffelmassen müssen sich vollständig mitei- nander verbinden, eventuell nach und nach etwas vom heißen Kochwasser zugeben, bis ein Teig ent- steht, aus dem sich Klöße formen lassen. Butter in einer Pfanne zerlassen und darin die in Würfel geschnittenen Brötchen goldgelb braten. Jetzt werden die Klöße mit feuchten Händen ge- formt, wobei in die Mitte jeweils ein paar geröstete Brötchenwürfel gedrückt werden. Die Klöße in leicht gesalzenes kochendes Wasser ge- ben und sie darin zirka 20 Minuten bei mäßiger Hit- ze ziehen lassen. Dabei müssen sie frei schwimmen können. Der Kloß ist fertig, wenn er an der Oberflä- che treibt. Thüringer Klöße sind Kartoffelklöße, deren Teig tra- ditionell zu zwei Dritteln aus rohen, geriebenen und zu einem Drittel aus gekochten Kartoffeln besteht. Teilweise werden sie auch als Grüne Klöße bezeich- net, in einigen Regionen wird wiederum nur dann von Grünen Klößen gesprochen, wenn der Teig aus- schließlich aus rohen Kartoffeln zubereitet wurde. Es kann kleinere Unterschiede bei der Zubereitung geben, denn je nach Region und Tradition gibt es verschiedene Rezepte, die prinzipiell alle für sich beanspruchen, das Originalrezept zu sein. Früher waren Klöße in Thüringen, Sachsen und Franken so- wie im Vogtland ein Arme-Leute-Essen, das es die ganze Woche über gab und das sowohl als Mittag- wie auch als Abendessen serviert wurde. Teilweise dienten die Klöße sogar als Ersatz für Brot. Heute werden Thüringer Klöße hingegen als Beilage zum Sonntagsbraten serviert. Begleitet werden die Kar- toffelklöße immer von reichlich Sauce, mitunter auch von Rotkohl oder Sauerkraut. REHBRATEN 1 Rehkeule ohne Knochen, etwa 1,8 kg, waschen mit Salz und Pfeffer würzen sowie mit getrockneten fein zermahlenen Kräutern einreiben. In einfachem Rot- wein (halber Liter) mit Wacholderbeeren, Gewürz- nelken und Lorbeerlaub vier Tage im Kühlschrank einlegen. Gespickt wird die Rehkeule mit gerräucherten Rü- ckenspeck. Rehkeule anbraten, danach zwei Zwie- beln, drei Karotten, eine kleine Stange Lauch, ein kleines Stück Sellerie in Würfel schneiden und an- braten. Zusammen mit dem Einlegesud und einem Becher Sauerrahm im geschlossenen Bräter für zirka zwei Stunden im Ofen bei mittlerer Hitze garen lassen. Die gebratene Rehkeule ruhen lassen. Bratflüssigkeit und gegartes Gemüse durch ein Sieb streichen. Mit einem Saucenkuchen, lieblichen Rot- wein, Sahne, Preiselbeeren und Gewürzen nach Be- darf abschmecken. 16 17 AUSGABE 01 | 11.2015 AUFGETISCHT / REZEPTE AUFGETISCHT
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjE3Nzg=