Pluspolausgabe13_2022
ELEKTRISCHE STRASSENBAHN Der Traum von einer elektrischen Tram Im Jahr 1900 wurde der Stadt Coburg der Bau einer Straßenbahn und eines E-Werks angeboten. Die erste Linie sollte vom Bahnhof, durch den Steinweg und über den Markt zu den Stadtwerken füh- ren. Das Projekt wurde nie realisiert. Die Pläne zeigen den techni- schen Stand um 1900. 1899 schlug der Münchner Bauingenieur und Elektrotechniker Oskar von Miller dem „verehrlichen Magistrat der Herzoglichen Residenz- stadt Coburg“ den Bau eines „Elektricitätswerkes und einer Stras- senbahn“ vor. Auf dem Gelände der städtischen Gasanstalt, heute SÜC, sollte mit Gasmotoren und Generatoren Strom erzeugt werden. Damit wollte von Miller eine Straßenbahn betreiben, die Gaslaternen durch elektrische Lampen ersetzen und „den Bewoh- nern das angenehme elektrische Licht und die für die Gewerbetreibenden so wichtige elektrische Kraft zu günstigen Be- dingungen“ zur Verfü- gung stellen. Der Münchner Bauingenieur und Elektrotechniker Oskar von Miller hatte vor 120 Jahren einen Plan: Für Coburg projektierte er eine elektrische Straßenbahn und ein Stromnetz. Oskar von Miller veranschlagte die Kosten für den ersten Ausbau des E-Werks mit einer halben Million Mark und nochmals 209.000 Mark für die Straßenbahnlinie vom Bahnhof zum Ketschentor. Die Straßenbahn wurde nie gebaut. Die Machart der Pläne fasziniert noch heute. Der Streckenplan für die Linie vom Bahnhof durch die Bahnhofs- und Heiligkreuzstraße, durch Steinweg und Spitalgasse über den Marktplatz und weiter durch die Ketschengasse und zur Kreuzung am Kongresshaus ist fast dreieinhalb Meter lang. Die Zeichner im Technischen Büro von Oskar von Miller skizzierten die Strecke abschnittsweise auf DIN-A4-Blätter und klebten die Bo- gen im Hochformat aneinander. So bringt es die angedachte Verbin- dung von der Kaserne am Thüringer Kreuz (heute Polizei) bis nach Ketschendorf auf eine Länge von fast sechs Metern. Wo die Schienen den Kurven der Straßen und Gassen folgen, fügten die ZeichnerWin- kel und Zwischenstücke ein. So lässt sich auch die längste Planskizze zu einem fingerstarken Bündel im Format DIN A4 zusammenfalten. Ein dunkler Aktendeckel mit goldener Prägeschrift birgt ein Konvo- lut von Plänen und Längsprofilen, grafischen Fahrplänen, Verträgen, Stromtarifen, Leitungs- und Bauplänen. Drei Kilogramm bringt das Papier auf die Waage. Der Erläuterungsbericht, die Verträge zwi- schen Stadt und der Allgemeinen Electricitäts-Gesellschaft (AEG) sowie für die Stromlieferung an Haushalte sind mit der Schreibma- schine verfasst. Die anderen Unterlagen haben Schreiber mit Tinte und Feder in gestochen scharfer Handschrift ausgefertigt. Weil die kürzeste Strecke vom Bahnhof durch die Lossaustraße, über die steinerne Judenbrücke durch die Judengasse zum Markt und weiter zum „Ketschenthor“ zu kurvig war, gab von Miller der Linie Bahnhof–Bahnhofsstraße–Steinweg–Marktplatz–Ketschent- hor den Vorzug. Fünf Minuten sollte die Fahrt dauern. Der Preis für einen Fahrschein wurde mit 10 Pfennigen bis zu einer Entfernung von drei Kilometern festgesetzt. „Städtische Beamte sollen Freikar- 28 13 | 12.2022
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