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INTERVIEW SICHERHEIT 24/7 Aber wie war es in den Anfängen der Netzleitstelle, als in der Schaltwarte der 70er-Jahre eine „Fernwirkanlage“ arbeitete? Jürgen Präcklein von der SÜC erinnert sich an die „schwarze Grotte“, wie eine Fotografie aus dieser Zeit betitelt wurde: 1983 war ich als Auszubildender zum ersten Mal in der Netzleitstelle der SÜC. Seinerzeit war es ein düsterer Raum, ohne Fenster, ohne Tageslicht. Die Netzleitstelle war richtig abgeschottet. Wie kann man sich die Technik von damals vorstellen? Als Anfang der 70er-Jahre die Netzleitstelle aufgebaut wurde, waren etwa sechs bis sieben Schalthäuser von dort aus fernwirkbar zu schalten. Mit Mosaiksteinen wurde schematisch ein Bild des Stromnetzes dargestellt. Diese Steine leuchteten entweder rot oder grün auf, je nach- dem welche Stellung die Schalter hatten. Rot bedeutete Aus, Grün stand für Ein. Während des Schaltvorgangs, also während die Schalthäuser vom Pult aus angewählt wurden, blinkten die Mosaiksteine. Auch Störungen erschie- nen auf der Mosaiktafel. Aufleuchtende Pfeile zeigten die Fließrichtung des Erdschlussstromes an. So konnten Fehler schneller gefunden werden. War dieses alte elektrische System gegenüber der heute eingesetzten Elektronik störanfälliger oder langsamer? Das lässt sich so nicht sagen. Damals wie heute ist eine Rückmeldung bei einer Fernsteuerung unabdingbar. Man will und muss ja wissen, ob sich der angesteuerte Schalter bewegt oder nicht. Heute sind alle Vorgänge und Informationen digital miteinander verknüpft, damals führten von jedem Mosaikstein in der Tafel Kabel zu soge- nannten Rangierbänken. Wenn das System installiert und aufgebaut war, funktionierte das. Selten war einmal ein Kabel beschädigt, aber das war schnell repariert. Zu jener Zeit beherrschten noch viel mehr Freileitungen das Straßen- und Landschaftsbild. Hatte das Auswir­ kungen auf die Sicherheit des Stromnetzes? In der Stadt waren die meisten Kabel schon unter­ irdisch verlegt. Aber in den ländlichen Gebieten gab es viele Überlandleitungen. Nach jedem Sturm gingen viele Störmeldungen ein. Da waren Bäume auf die Leitungen gefallen und hatten die Drähte abgerissen. Auch schlu- gen bei Gewitter oft Blitze in die Freileitungen. Da sind die Kollegen dann raus und kontrollierten die Leitungsstrecken, ob nicht ein Draht herunterhing. Das heißt, rund um die Uhr musste ein Bereitschaftsdienst da sein, um schnell gerissene Stromleitungen zu reparieren? Selbstverständlich. Heute wird der Bereitschaftsdienst nicht mehr so oft angefordert. Aber damals gab es noch mehr Kleinbauern, die im Nebenerwerb eine Landwirtschaft hatten. Die wollten vor ihrer anderen Arbeit um 5 Uhr melken – da musste alles laufen, also musste elektrische Energie da sein. Deshalb gab und gibt es immer noch eine Prioritätenliste, wie Störungen in der Nacht zu beheben sind: Sofort, bis 5 Uhr und bis zum allge- meinen Arbeitsbeginn. Auch war mehr Personal notwen- dig. Etwa im Freileitungsbau von Haus zu Haus, wenn jeder Dachständer besetzt werden musste. Auch das damals verwendete Bau- und Installationsmaterial war wesentlich arbeitsintensiver. Wie sieht heute die Arbeit in der neuen und hochmoder- nen Netzleitstelle aus? Heute ist die Technik viel sensibler, aber auch die Menschen. Seinerzeit steuerte die Netzleitstelle das Stromnetz. Heute überwacht die Netzleitstelle neben der Stromversorgung das Gas- und Wasserleitungsnetz sowie die Fernwärme. Und dann ist da noch das Internet, das von der Tochterfirma süc//dacor betrieben wird. Manchmal kann man schon auf die Idee kommen, dass das für viele Menschen über- lebenswichtig ist. Selbstverständlich muss es funktionie- ren. Langweilig ist es in der Netzleitstelle nie. Das Thema „Sicherheit“ nimmt heute einen großen Stellenwert ein, besonders in der Netzleitstelle eines Stadtwerks. Richtig. Deshalb war bis zum Umzug in die neue Netz- leitstelle auch eine Art Totmann-Knopf in Betrieb, ähn- lich wie auf dem Führerstand einer Lokomotive. Alle zehn Minuten musste diese Taste betätigt werden. Blieb das aus, oder die Taste wurde permanent gedrückt, ging ein Signal INTERVIEW MIT JÜRGEN PRÄCKLEIN Seit wenigen Wochen ist die neue Netzleitstelle der SÜC in Betrieb. Das „Gehirn“ steuert und überwacht mit modernster Technik die Gas-, Wasser- und Stromversorgung, das Fernwärmenetz in Coburg und die Datenleitungen von süc//dacor. Besonders an den Wochenenden ist die Netzleitstelle mitunter auch ein allgemeines Sorgentelefon. Jürgen Präcklein ist seit 37 Jahren bei der SÜC. Er kennt aus seiner Ausbildungszeit noch die alte Netzleitstelle des Versorgungsunternehmens. Bei den nächtlichen Kontroll- gängen vor 30 Jahren war stets ein martialischer Knüppel zum Schutz dabei. Gebraucht wurde das Ding nie. an die Leitstelle im Müllheizkraftwerk in Coburg-Neuses. Dann versuchte der Mitarbeiter dort den Mann in der SÜC- Netzwarte zu erreichen. Gelang das nicht, wären Polizei und gegebenenfalls der Rettungsdienst verständigt worden. Heute ist ein modernes Hausnotrufsystem in Betrieb wie es etwa der ASB und das BRK anbieten. Selbstverständlich ist die Netzleitstelle auch heute nicht ohne weiteres zu betre- ten. Da gibt es Zugangskontrollen und gesicherte Türen. Die Sicherheitsstandards für Netzleitstellen sind übrigens seit etwa 1,5 Jahren EU-weit geregelt. Herr Präcklein, Sie haben da einen sehr martialischen Knüppel mitgebracht … (er hebt das Unterarm lange und etwa fünf Zentimeter dicke schwarze Teil mit Handschlaufe in die Höhe). Das ist ein Relikt vom Beginn der 80er-Jahre. Dieses Ding haben wir aus einem Stück Kabel gebaut. Als die Heißluftturbine in den 1960er-Jahren den Schlachthof ver- sorgte, waren rund um die Uhr Kraftwerksmonteure da. Die schauten während ihrer Kontrollgänge auch bei dem Mann in der Netzleitstelle vorbei. Nachts war der ja allein. Als das Kraftwerk viele Jahre später aufgegeben war, kam ein zweiter Mann in die Nachtschicht der Leitstelle. Die Kollegen versahen den Werkschutz, kontrollierten regel- mäßig, ob alle Türen und Fenster verschlossen waren, kein Trafo leckte und auch, ob kein Fremder auf dem Werksgelände war. Zum Selbstschutz wurde dieses Stück Kabel mitgenommen. Auch einen Plastikhelm gab es. Aber der Knüppel ist nie zum Einsatz gekommen, zum Glück nicht. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Präcklein. Vor 40 Jahren beherrschte die analoge Technik die Netz- leitstelle der SÜC. Volt- und Amperemeter, Messuhren, bunte Lampen und eine Mosaikwand (hinten) zeigten den Zustand des Versorgungsnetzes an. Einen Bildschirm gab es auch: Darauf war ein Bild von der Einfahrt auf das Werksgelände zu sehen. Foto: SÜC 8 9 AUSGABE 04 | 05.2017 INTERVIEW

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